Quantcast
Channel: Investitionszulage - Rechtslupe
Viewing all articles
Browse latest Browse all 74

Untreue eines Finanzbeamten – bei Investitionszulageentscheidungen

$
0
0

Mit der Untreue eines Finanzbeamten bei Entscheidungen im Zusammenhang mit dem InvZulG 1999 hatte sich aktuell der Bundesgerichtshof zu befassen.

Anlass hierzu bot ein Strafverfahren, in dem zwei leitenden Finanzbeamten des Landes Landes Mecklenburg-Vorpommern vorgeworfen wurde, an ihnen nachgeordnete Finanzbeamte rechtswidrige Weisungen zum Umgang mit Belegenheitsbescheinigungen in Investitionszulagenverfahren nach dem Investitionszulagengesetz 1999 (künftig: InvZulG 1999) erteilt und sich dadurch der Untreue (§ 266 Abs. 1 StGB) schuldig gemacht zu haben.

Die Angeklagten waren in ihren jeweiligen dienstlichen Aufgabenbereichen mit Fragen der Gewährung von Investitionszulagen nach dem Investitionszulagengesetz 1999 befasst.

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und § 3a Abs. 1 InvZulG 1999 gewähren die Finanzämter bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen eine Zulage in Höhe von 10 Prozent der Kosten der Anschaffung oder Herstellung neuer Gebäude zum Zwecke der entgeltlichen Überlassung zu Wohnzwecken oder für Modernisierungsmaßnahmen an Mietwohnungsgebäuden im innerörtlichen Bereich. Ein Anspruch auf Investitionszulage für die Anschaffung oder Herstellung neuer Gebäude (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 InvZulG 1999) bzw. für Modernisierungsmaßnahmen an Mietwohngebäuden im innerörtlichen Bereich (§ 3a Abs. 1 InvZulG 1999) setzt voraus, dass der Antragsteller die Belegenheit des Gebäudes in einem förderfähigen Gebiet durch eine Bescheinigung der zuständigen Gemeindebehörde nachweist (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Buchst. b) bzw. § 3a Abs. 1 InvZulG 1999)). In diesem Sinne förderfähig sind danach unter anderem Gebäude, die in einem Gebiet belegen sind, das durch Bebauungsplan als Kerngebiet im Sinne des § 7 Baunutzungsverordnung festgesetzt ist oder “das auf Grund der Bebauung der näheren Umgebung diesem Gebiet entspricht.”

Eine Belegenheit in einem so genannten “kerngebietsähnlichen Gebiet” im Sinne der letzten Alternative des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Buchst. b) InvZulG 1999 setzt voraus, dass das zu fördernde Objekt in einem Gebiet liegt, das einem “Kerngebiet” entspricht und nur noch nicht förmlich als solches ausgewiesen ist. Kerngebiete im Sinne des § 7 BauNVO sind dabei Gebiete, die vorwiegend der Unterbringung von Handelsbetrieben sowie der zentralen Einrichtungen der Wirtschaft, der Verwaltung und der Kultur dienen. Objekte in reinen Wohngebieten scheiden grundsätzlich als förderfähig aus.

In der Verwaltungspraxis bestand zunächst Unsicherheit darüber, in welchen Fällen die Belegenheit eines Bauvorhabens in einem kerngebietsähnlichen Gebiet bescheinigt werden durfte. Neben der Vagheit der gesetzlichen Regelung resultierten die Anwendungsschwierigkeiten in der Praxis teilweise auch daher, dass die Gemeindebehörden, in deren Bereich die Investitionen erfolgen sollten und die für die Erteilung der Belegenheitsbescheinigungen zuständig waren, ein eigenes wirtschaftliches Interesse an Investitionen in den regionalen Wohnungsbau hegten. Die Frage der Förderfähigkeit von Investitionen im Sinne des § 3 Abs. 1 InvZulG 1999 und des Umgangs mit Belegenheitsbescheinigungen wurde – vor der verfahrensgegenständlichen Dienstberatung am 8.04.2003 – in einigen Veröffentlichungen thematisiert:

Im August 2000 empfahl der Städte- und Gemeindetag Mecklenburg- Vorpommern den Kommunen in seiner Verbandszeitschrift, “in ihrem eigenen Interesse” mit der Erteilung von Belegenheitsbescheinigungen “großzügig” zu verfahren. Soweit im Zentrum eines Dorfes sowohl Wohn- als auch Geschäfts, Büro- und Verwaltungsgebäude wie auch möglicherweise Einzelhandelsbetriebe vorhanden seien, könne regelmäßig davon ausgegangen werden, dass eine Belegenheitsbescheinigung ausgestellt werden könne. Darüber hinaus wurde darauf hingewiesen, dass “auch durch das zuständige Finanzamt keine Überprüfung der sachlichen Richtigkeit erfolgen” könne, sondern “das Finanzamt an den Bescheid der zuständigen Gemeindebehörde gebunden” sei.

Am 18.04.2001 wies der Bundesminister der Finanzen die Innenministerien der neuen Bundesländer auf die Problematik rechtswidrig erteilter Belegenheitsbescheinigungen hin und erläuterte, dass die Finanzämter an den Inhalt der Bescheinigungen gebunden seien. Er fügte hinzu, dass die Erteilung von “Gefälligkeitsbescheinigungen” zu beachtlichen Steuermindereinnahmen führe und die Gemeinden verpflichtet seien, die Erteilung von Bescheinigungen bei Fehlen der Fördervoraussetzungen zu versagen; dafür habe die Kommunalaufsicht Sorge zu tragen.

Im November 2002 veröffentlichte der Städte- und Gemeindetag Mecklenburg-Vorpommern in seiner Verbandszeitschrift ein Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald aus dem September 2001, in dem dieses ausgeführt hatte, dass ein “Dorfkern” regelmäßig nicht als Fördergebiet im Sinne des InvZulG 1999 anzusehen sei, und setzte hinzu, dass die früher “dargelegte großzügige Auslegung des InvZulG” daher “nicht mehr empfohlen werden” könne.

Am 28.02.2003 veröffentlichte das Bundesministerium der Finanzen ein BMF-Schreiben, in dem ausgeführt wurde, dass die von den kommunalen Entscheidungsträgern ausgestellten Belegenheitsbescheinigungen als Grundlagenbescheide im Sinne des § 171 Abs. 10 Satz 1 AO anzusehen und für die Finanzbehörden im Hinblick auf die darin enthaltenen außersteuerrechtlichen Feststellungen verbindlich seien. Stelle das Finanzamt fest, dass die bauplanungsrechtlichen Voraussetzungen offensichtlich nicht vorliegen, habe es die zuständige Gemeindebehörde zu veranlassen, die Bescheinigung zu überprüfen.

Dem Angeklagten B. , damals stellvertretender Leiter der Steuer- abteilung und als Referatsleiter für Investitionszulagen und die Fachaufsicht über die nachgeordneten Finanzbehörden zuständig, wird vorgeworfen, die für Investitionszulagenverfahren zuständigen Sachgebietsleiter der Finanzämter am 8.04.2003 im Rahmen einer “Dienstberatung” (rechtswidrig) angewiesen zu haben, die von den Gemeinden ausgestellten Bescheinigungen über die Belegenheit eines Gebäudes in einem förderfähigen Gebiet gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Buchst. b) InvZulG 1999 (künftig: Belegenheitsbescheinigung), grundsätzlich anzuerkennen und keine Nachforschungen über ihre Rechtmäßigkeit anzustellen; Remonstrationen bei den ausstellenden Gemeindebehörden seien grundsätzlich nicht oder nur einmalig zu erheben, wenn aufgrund eigener Ortskenntnis und ohne weitere Nachforschungen Anhaltspunkte für offensichtlich rechtswidrig erteilte Belegenheitsbescheinigungen bestünden; noch offene Zulagenverfahren seien “bewilligend” abzuschließen und auf die Rückforderung zu Unrecht gewährter Investitionszulagen sei zu verzichten.

Der Angeklagte S. , der damals als Einkommensteuerreferent in der Oberfinanzdirektion R. (künftig: OFD) unter anderem für Investitions- zulagenverfahren zuständig war, habe sich als verantwortlicher Tagungsleiter diese Weisung seines Vorgesetzten “zu eigen gemacht”, indem er dessen Vorgaben “zusammenfassend wiederholt” und die anwesenden Finanzbeamten mit dem Hinweis “Augen zu und durch” aufgefordert habe, die Weisungen des Angeklagten B. zu befolgen. Die Angeklagten hätten damit bewusst und ge- wollt angeordnet, faktisch keine Remonstrationen mehr durchzuführen, obwohl ihnen bekannt gewesen sei, dass Bescheinigungen der Gemeinden fehlerhaft oder missbräuchlich ausgestellt worden seien; diese Weisung habe u.a. dazu geführt, dass die Finanzämter St. und Be. in mehreren Investitionszula- genfällen Remonstrationsverfahren, die zuvor mit dem Ziel geführt worden seien, die Rücknahme rechtswidriger Belegenheitsbescheinigungen zu erreichen, beendet hätten und Investitionszulagen in Höhe von insgesamt etwa 534.000 Euro zu Unrecht ausgezahlt bzw. nicht zurückgefordert worden seien, wodurch ein Steuerschaden in entsprechender Höhe entstanden sei.

Das Landgericht Schwerin hatte die Anklage der Staatsanwaltschaft Rostock vom 19.01.2010 nicht zur Hauptverhandlung zugelassen und die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt. Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen diesen Nichteröffnungsbeschluss hat das Oberlandesgericht Rostock die Anklage unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen. Das Landgericht hat die angeklagten Finanzbeamten daraufhin freigesprochen, der Bundesgerichtshof bestätigte dies nun und wies die Revision der Staatsanwaltschaft zurück:

Wegen Untreue (§ 266 Abs. 1 StGB) in der Variante des Treuebruchs macht sich strafbar, wer eine kraft Gesetzes, behördlichen Auftrags, Rechtsgeschäfts oder eines Treueverhältnisses begründete Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, verletzt und dadurch dem, dessen Vermögensinteressen er wahrzunehmen hat, Nachteil zufügt.

Eine Vermögensbetreuungspflicht in diesem Sinne ist gegeben, wenn der Täter in einer Beziehung zu dem (potentiell) Geschädigten steht, die eine besondere Verantwortung für dessen materielle Güter mit sich bringt. Den Täter muss eine inhaltlich herausgehobene Pflicht zur Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen treffen, die über die für jedermann geltenden Sorgfalts- und Rücksichtnahmepflichten sowie über die allgemeine Pflicht, auf die Vermögensverhältnisse des Vertragspartners oder Dienstherrn Rücksicht zu nehmen, ebenso hinausgeht wie über einen bloßen Bezug zu fremden Vermögensinteressen oder eine rein tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit auf materielle Rechtsgüter anderer. Erforderlich ist eine inhaltlich besonders herausgehobene Pflicht zur Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen, die sich als Hauptpflicht, also eine zumindest mitbestimmende und nicht nur beiläufige Pflicht darstellt. Erforderlich ist weiterhin, dass die dem Vermögensbetreuungspflichtigen übertragene Tätigkeit nicht durch ins Einzelne gehende Weisungen vorgezeichnet ist, sondern ihm Raum für eigenverantwortliche Entscheidungen und eine gewisse Selbstständigkeit lässt. Dabei ist nicht nur auf die Weite des ihm eröffneten Spielraums abzustellen, sondern auch auf das Fehlen von Kontrolle, also auf die tatsächlich gegebene Möglichkeit, ohne eine gleichzeitige Steuerung und Überwachung durch den Treugeber auf dessen Vermögen zuzugreifen.

Das Merkmal der Pflichtwidrigkeit im Sinne des Untreuetatbestands knüpft an außerstrafrechtliche – zivilrechtliche oder öffentlichrechtliche – Normenkomplexe und Wertungen an, die das Verhältnis zwischen dem Treugeber und Treunehmer im Einzelnen gestalten und die den Inhalt der – strafbewehrten – Pflicht sowie die Maßstäbe für deren Verletzung erst konturieren. Umfang und Grenzen der jeweiligen Pflichten sind dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis zu entnehmen.

Vertragliche oder gesetzliche Beziehungen, die sich insgesamt als ein Treueverhältnis im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB darstellen, können dabei auch Pflichten enthalten, deren Verletzung nicht dem Straftatbestand der Untreue unterfällt. Nicht jede Pflichtverletzung eines Treuepflichtigen gegenüber seinem Treugeber ist sonach strafbewehrt. Erforderlich ist vielmehr, dass die verletzte Pflicht gerade dem Vermögensschutz dient, und dass sie innerhalb der vom Treugeber verliehenen Herrschaftsmacht angesiedelt ist, über das fremde Vermögen zu verfügen. Die von dem Täter konkret verletzte Pflicht muss auf den Pflichtenkreis zurückgehen, der die hervorgehobene Stellung des Täters für den Schutz des Vermögens des Treugebers begründet.

Ein Finanzbeamter, zu dessen dienstlichen Aufgaben es zählt, Anträge auf Bewilligung von Investitionszulagen selbstständig daraufhin zu überprüfen, ob die in den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen und den dazu erlassenen Verwaltungsanordnungen festgelegten tatbestandlichen Voraussetzungen gegeben sind, kann sich wegen Untreue strafbar machen, weil ihm eine Vermögensbetreuungspflicht im Hinblick auf das Fiskalvermögen obliegt. Zwar sind die Voraussetzungen, unter denen ein Anspruch auf eine Subvention oder Investitionszulage besteht, weitgehend gesetzlich festgelegt; sein dienstlicher Aufgabenkreis eröffnet dem Finanzbeamten gleichwohl einen (gewissen) Entscheidungsspielraum, Selbstständigkeit und Bewegungsfreiheit.

Nicht jede Pflichtverletzung eines mit der Durchführung von Investitionszulagenverfahren befassten Finanzbeamten lässt sich jedoch als Verletzung einer Vermögensbetreuungspflicht im Sinne des § 266 StGB verstehen, auch wenn sie sich auf das Vermögen des Berechtigten – hier das Fiskalvermögen – irgendwie nachteilig auswirken kann. Erforderlich ist vielmehr stets, dass die verletzte Pflicht des Finanzbeamten in einem Bereich angesiedelt ist, in dem ihm ein gewisser Entscheidungsspielraum verliehen ist, den er eigenverantwortlich auszufüllen hat. Fehlt es an einem solchen auf Eigenverantwortung beruhenden Entscheidungsspielraum des Treuepflichtigen, so fehlt es an der Verletzung einer dem Schutzbereich des § 266 Abs. 1 StGB unterfallenden Vermögensbetreuungspflicht.

Gemessen hieran schied eine Strafbarkeit der angeklagten Finanzbeamten wegen Untreue in sämtlichen Fällen bereits aus Rechtsgründen aus:

Den beiden Angeklagten aufgrund ihrer beruflichen Stellung als Beamte der Finanzverwaltung des Landes Mecklenburg-Vorpommern eine qualifizierte Pflichtenstellung im Hinblick auf das Fiskalvermögen zu, Zwar waren die Angeklagten im verfahrensgegenständlichen Zeitraum nicht selbst und unmittelbar mit der Abwicklung von Investitionszulagenverfahren betraut. Sie hatten jedoch aufgrund der ihnen übertragenen, herausgehobenen Ämter im Finanzministerium bzw. in der OFD die Pflicht, die nachgeordneten Finanzbeamten beim Vollzug des InvZulG 1999 zu überwachen und erforderlichenfalls durch die Erteilung von Weisungen zu pflichtgemäßem Handeln anzuhalten. Ihnen oblag daher – ebenso wie den unmittelbar mit der Festsetzung von Investitionszulagen befassten Finanzbeamten – eine herausgehobene Pflicht zu fremdnütziger Vermögenssorge im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB. Dies gilt auch in Ansehung des Umstands, dass § 3 InvZulG 1999 den mit der Festsetzung der Investitionszulagen befassten Finanzbehörden keinen Ermessensspielraum im eigentlichen Sinne einräumt, sondern die tatbestandlichen Voraussetzungen sowie die Höhe der Investitionszulage im Einzelnen festlegt. Den Finanzbehörden obliegt jedoch die Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen. Im Rahmen dieser Prüfungspflicht kommt den Finanzbehörden ein – beschränkter – Entscheidungsspielraum zu.

Soweit sie im Rahmen des ihnen übertragenen Aufgabenbereichs dienstlich konkret in die Durchführung von Investitionszulagenverfahren eingebunden waren, waren die Angeklagten verpflichtet, im Rahmen des durch das InvZulG 1999 festgelegten Aufgaben- und Pflichtenkreises Sorge dafür zu tragen, dass die Bewilligung von Investitionszulagen den gesetzlichen Vorgaben entsprach und bei Fehlen der gesetzlichen Voraussetzungen Anträge auf Investitionszulage abgelehnt werden.

Die den Angeklagten zur Last gelegte Pflichtverletzung, die in rechtswidrigen Weisungen zum Umgang mit wirksamen, aber für offensichtlich unrichtig erachteten Belegenheitsbescheinigungen liegen soll, unterfällt – ungeachtet der Frage ihres tatsächlichen Vorliegens – nicht dem Schutzbereich des § 266 Abs. 1 StGB. Die gesetzlichen Regelungen des InvZulG 1999 und die mit Implementierung eines selbstständigen Bescheinigungsverfahrens gewählte Aufgaben- und Verantwortungsteilung zwischen Finanzamt und Gemeinde begrenzen den Pflichtenkreis der Finanzbehörden und nehmen ihnen im Hinblick auf die in die Verantwortung der Gemeindebehörden gelegten Belegenheitsbescheinigungen zugleich die erforderliche Rechtsmacht.

Der den Finanzbeamten im Rahmen des InvZulG 1999 eröffnete Pflichtenkreis ist durch die gesetzlichen Regelungen des InvZulG 1999 in Verbindung mit § 171 Abgabenordnung thematisch beschränkt.

Ziel des InvZulG 1999 vom 18.08.1997 wie seiner Vorgängerregelungen ist es, Finanzmittel bereitzustellen, um den wirtschaftlichen Umbruch nach der Wiedervereinigung abzufedern, die unterschiedliche Wirtschaftskraft auszugleichen und das wirtschaftliche Wachstum in den neuen Bundesländern zu fördern. Wegen des erheblichen Sanierungsbedarfs in den Innenstädten sah das InvZulG 1999 Investitionszulagen, die gemäß § 6 Abs. 3 InvZulG 1999 aus dem Bund, Ländern und Gemeinden anteilig zustehenden Einkommens- und Körperschaftssteueraufkommen auszuzahlen sind, auch für Maßnahmen zur Modernisierung des Mietwohnungsbestands und des selbst genutzten Wohnungseigentums vor. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte eine “auf die Innenstädte eng begrenzte Förderung des Mietwohnungsneubaus […] die Sanierungsanstrengungen flankieren und zur Revitalisierung der Innenstädte beitragen”. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Buchst. b) InvZulG 1999 ist die Förderfähigkeit von Modernisierungsmaßnahmen an Mietwohnungsgebäuden sowie von Mietwohnungsneubau im innerörtlichen Bereich von der Belegenheit des Gebäudes in einem gesetzlich im Einzelnen umschriebenen förderfähigen Gebiet abhängig. Die Festsetzung und Auszahlung der Zulagen obliegt den für die Besteuerung des Anspruchsberechtigten nach dem Einkommen zuständigen Finanzämtern (§ 5 Abs. 2 Satz 1 InvZulG 1999); für das Festsetzungsverfahren finden die für die Steuervergütungen geltenden Vorschriften der Abgabenordnung sinngemäß Anwendung (§ 6 Abs. 1 Satz 1 InvZulG 1999).

Ein Anspruch auf Investitionszulage für die Anschaffung oder Herstellung neuer Gebäude (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 InvZulG 1999) bzw. für Modernisierungsmaßnahmen an Mietwohngebäuden im innerörtlichen Bereich (§ 3a Abs. 1 InvZulG 1999) setzt voraus, dass der für die Anspruchsvoraussetzungen beweisbelastete Antragsteller durch eine Bescheinigung der zuständigen Gemeindebehörde nachweist, dass das Gebäude in einem förderfähigen Gebiet belegen ist (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Buchst. b) bzw. § 3a Abs. 1 InvZulG 1999)). Danach ist ein Objekt unter anderem förderfähig, wenn es “in einem Gebiet liegt, das durch Bebauungsplan als Kerngebiet im Sinne des § 7 Baunutzungsverordnung festgesetzt ist oder das auf Grund der Bebauung der näheren Umgebung diesem Gebiet entspricht.”

Die vage formulierte letzte Alternative der Vorschrift erfordert die Belegenheit des zu fördernden Objekts in einem Gebiet, das einem “Kerngebiet” entspricht und nur noch nicht förmlich als Kerngebiet ausgewiesen ist. Kerngebiete im Sinne des § 7 BauNVO sind dabei Gebiete, die vorwiegend der Unterbringung von Handelsbetrieben sowie der zentralen Einrichtungen der Wirtschaft, der Verwaltung und der Kultur dienen. Objekte, die in reinen Wohngebieten belegen sind, scheiden grundsätzlich als förderfähig aus.

Der Gesetzgeber hat sich damit im Bereich des Investitionszulagenverfahrens – ebenso wie in anderen steuerrechtlichen Regelungsmaterien mit Bezug zu einer (verwaltungsrechtlichen) Spezialmaterie – für ein zweistufiges Verfahren entschieden und die Verantwortung für die Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen des Anspruchs auf Investitionszulage in die Verantwortung zweier Behörden gelegt.

Für den Bereich der Zulagenverfahren nach dem InvZulG 1999 bedeutet dies, dass die unter Berücksichtigung bauplanungsrechtlicher Vorgaben zu beantwortende Frage, ob ein Objekt in einem förderfähigen Gebiet nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Buchst. b)) bzw. § 3a Abs. 1 InvZulG 1999 belegen und damit einer der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Investitionszulage gegeben ist, der Prüfung der Gemeinden obliegt. Demgegenüber obliegt die Prüfung und Entscheidung der Frage, ob die sonstigen tatbestandlichen Voraussetzungen für die Gewährung der beantragten Investitionszulagen vorliegen, den Finanzämtern. Der Gesetzgeber verfolgte damit ersichtlich das Ziel, das Zulagenverfahren von bauplanungsrechtlichen Vorfragen zu entlasten und mit deren Beantwortung die fachlich kompetenten Gemeinden zu betrauen.

Die von den Gemeinden auszustellenden Belegenheitsbescheinigungen sind Grundlagenbescheide im Sinne des § 171 Abs. 10 AO und materiellrechtliche Voraussetzung für die Festsetzung der Investitionszulage. Sie entfalten im Zulagenfestsetzungsverfahren Bindungswirkung und sind von den Finanzbehörden weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht zu überprüfen, soweit sie außersteuerrechtliche Beurteilungen enthalten. Für die Finanzbehörden und die Finanzgerichte ist die Belegenheitsbescheinigung hinsichtlich der darin enthaltenen bauplanungsrechtlichen Festlegung der Belegenheit eines Gebäudes in einem förderfähigen Gebiet bindend.

Diese in Rechtsprechung und Schrifttum – soweit ersichtlich – außer Streit stehende Bindungswirkung der Belegenheitsbescheinigung im Hinblick auf die in ihr enthaltenen bauplanungsrechtlichen Festlegungen begrenzt den Entscheidungsspielraum der Finanzbehörden und beschränkt den Pflichtenkreis, den ein Finanzbeamter im Rahmen der Durchführung von Investitionszulagenverfahren zu erfüllen hat.

Die Bindungswirkung der bauplanungsrechtlichen Einstufung der Belegenheit eines Objekts in einem förderfähigen Gebiet gilt nach herrschender Auffassung auch in den Fällen, in denen diese Einstufung aus der Sicht der Finanzbehörden Bedenken begegnet oder möglicherweise den Rahmen des Vertretbaren verlässt.

Die obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder hatten sich bereits in einer Sitzung im Juni 1998 mit der Frage des Vorgehens in Fällen befasst, in denen das Finanzamt bei Prüfung der Zulagenvoraussetzungen zu der Auffassung gelangt, dass die “in der Bescheinigung bezeichneten bauplanungsrechtlichen Voraussetzungen offensichtlich nicht vorliegen.” Sie haben das Finanzamt in diesen Fällen als verpflichtet angesehen, “die zuständige Gemeindebehörde zu veranlassen, die Bescheinigung zu überprüfen”. Weitergehende Verpflichtungen wurden den Finanzbehörden weder durch das BMF-Schreiben vom 24.08.1998 noch durch das in zeitlicher Nähe zu der verfahrensgegenständlichen Dienstberatung veröffentlichte BMF-Schreiben vom 28.02.2003, das die Grundsätze des vorangegangenen BMF-Schreibens wiederholte, auferlegt.

Die von den obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder vertretene Rechtsauffassung, wonach die von den zuständigen Gemeindebehörden ausgestellten Belegenheitsbescheinigungen für die Finanzämter auch in Fällen vermuteter, tatsächlich bestehender oder offensichtlicher Rechtswidrigkeit Bindungswirkung entfalten, ist auch in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt. Der Bundesfinanzhof hat ausgesprochen, dass “von Behörden erteilte Bescheinigungen, die Voraussetzung für die Gewährung von Investitionszulagen sind, als Verwaltungsakte zu beurteilen sind, die die Finanzbehörden binden.” Sie unterliegen “weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht der Nachprüfung durch die Finanzverwaltungsbehörde, soweit es sich um außersteuerrechtliche Beurteilungen handelt”. Dies gilt auch für die Bescheinigung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Buchst. b)) InvZulG 1999.

Die gesetzlich vorgesehene Aufgaben- und Verantwortungsteilung spiegelt sich auch in der Regelung über die Rechtswegzuständigkeit. Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 3 InvZulG ist bei Streitigkeiten im Bescheinigungsverfahren der Verwaltungsrechtsweg zu Verwaltungsgerichten eröffnet; demgegenüber ist gegen die Entscheidungen der Finanzbehörden der Finanzrechtsweg gegeben (vgl. § 6 Abs. 1 Satz 3 aE InvZulG).

Die Finanzbehörden sind sonach bei ihrem Tätigwerden im Rahmen des InvZulG 1999 in inhaltlicher Hinsicht beschränkt. Sie sind im Hinblick auf die bauplanungsrechtlichen Voraussetzungen der Förderfähigkeit eines Objekts auf die Prüfung der Frage beschränkt, ob der Antragsteller durch die Vorlage einer Belegenheitsbescheinigung die Belegenheit des Objekts in einem förderfähigen Gebiet nachweisen kann. Legt der Antragsteller eine solche Bescheinigung vor und ist diese wirksam, so bestehen im Hinblick auf die darin enthaltenen bauplanungsrechtlichen Festlegungen grundsätzlich keine weiter gehenden inhaltlichen Prüfungspflichten für die Finanzbehörden. Dies gilt auch in Fällen, in denen nach Auffassung der Finanzbehörden Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit oder Rechtswidrigkeit der ausgestellten Belegenheitsbescheinigung bestehen.

Allerdings sind die Finanzbehörden bei Bestehen entsprechender Anhaltspunkte zu einer Prüfung der Frage verpflichtet, ob die Belegenheitsbescheinigungen wirksam sind oder ob sie nichtig sein könnten. Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine mögliche (vorsätzliche) Verletzung einer solchen Prüfungspflicht den Straftatbestand der Untreue erfüllen könnte, bedarf vorliegend jedoch keiner Vertiefung.

Ein Verwaltungsakt kann – ungeachtet des Umstands, dass er als ein Akt staatlicher Gewalt die Vermutung seiner Gültigkeit in sich trägt – aus den in dem Katalog des § 44 Abs. 2 VwVfG-MV aufgeführten Gründen oder nach der Generalklausel des § 44 Abs. 1 VwVfG-MV nichtig sein, wenn er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommender Umstände offensichtlich ist. Ein besonders schwerwiegender Fehler in diesem Sinne liegt nur vor, wenn der Verwaltungsakt mit einem Mangel behaftet ist, der ihn als schlechterdings unerträglich, also mit tragenden Verfassungsprinzipien oder der Rechtsordnung immanenten wesentlichen Wertvorstellungen unvereinbar erscheinen lässt. Offenkundig ist ein solcher Mangel, wenn er für einen unvoreingenommenen, mit den Umständen vertrauten, verständigen Beobachter ohne Weiteres erkennbar ist, ihm die Fehlerhaftigkeit gleichsam “auf die Stirn geschrieben” ist.

Anhaltspunkte für eine mögliche Nichtigkeit der verfahrensgegenständlichen Belegenheitsbescheinigungen sind weder von der Staatsanwaltschaft geltend gemacht noch sonst ersichtlich.

Die für die ordnungsgemäße Durchführung von Verfahren nach dem InvZulG 1999 zuständigen Finanzbeamten sind sonach im Hinblick auf die Belegenheitsbescheinigungen auf die Prüfung der Frage beschränkt, ob diese Bescheinigungen wirksam sind oder – ausnahmsweise – an einem solch schwerwiegenden Mangel leiden, dass sie als nichtig anzusehen sind. Eine inhaltliche Prüfung hinsichtlich der in den Bescheinigungen enthaltenen “außersteuerrechtlichen Beurteilungen”, also der bauplanungsrechtlichen Bewertungen, ist der Nachprüfung der Finanzbehörden in tatsächlicher und in rechtlicher Hinsicht entzogen.

Die Finanzbehörden sind nicht befugt, die Bewilligung von Investitionszulagen unter Hinweis auf die inhaltliche Unrichtigkeit oder Rechtswidrigkeit der vom Antragsteller vorgelegten, aber wirksamen Belegenheitsbescheinigungen zu versagen.

Weitergehende, durch den Grundsatz der Gesetzesbindung der Verwaltung (Art.20 Abs. 3 GG) oder durch Weisung des Bundesministeriums der Finanzen begründete Pflichten, bei den zuständigen Gemeindebehörden – etwa im Wege der Remonstration – auf eine Abänderung einer von den Finanzbehörden als unrichtig angesehenen Belegenheitsbescheinigung hinzuwirken, sind nicht strafbewehrt. Insoweit fehlt es an der erforderlichen Rechtsmacht der Finanzbehörden.

Zwar kann der Grundsatz der Gesetzesbindung der Verwaltung (Art.20 Abs. 3 GG) ein Tätigwerden der Finanzbeamten in Fällen erfordern, in denen Anhaltspunkte für eine offensichtlich rechtswidrige Belegenheitsbescheinigung bestehen, um im Rahmen des rechtlich Möglichen eine Bewilligung von Investitionszulagen ohne Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen zu verhindern.

Darüber hinaus hat das BMF in mehreren Rundschreiben darauf hingewiesen, dass die Finanzbehörden in Ausnahmefällen einer “offensichtlichen Unrichtigkeit” der Bescheinigung bei der ausstellenden Behörde auf eine erneute Sachprüfung hinzuwirken und eine Rücknahme der Belegenheitsbescheinigungen anzuregen haben.

Bei der dadurch begründeten Pflicht zur Remonstration handelt es sich jedoch um eine aus der gesetzlichen Aufgabenerfüllung und dem Grundsatz der Gesetzesbindung der Verwaltung resultierende Nebenpflicht, die den Grundsätzen der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit des Mitteleinsatzes Rechnung trägt. Der “Sparsamkeitsgrundsatz”, wonach der Staat nichts “verschenken” darf, stellt ein allgemeines Prinzip der Haushaltsführung für den gesamten öffentlichen Bereich dar, das von allen Trägern hoheitlicher Gewalt unabhängig davon zu beachten ist, auf welcher Rechtsgrundlage sie tätig werden. Als rechtliche Steuerungsnorm ist der Grundsatz der Sparsamkeit dazu bestimmt, einen äußeren Begrenzungsrahmen für den Gestaltungsspielraum aller Hoheitsträger dahingehend zu bilden, solche Maßnahmen zu verhindern, die mit den Grundsätzen vernünftigen Wirtschaftens schlicht unvereinbar sind. Den Finanzbehörden ist dadurch jedoch weder ein eigener Entscheidungsspielraum noch überhaupt Rechtsmacht eröffnet; eine mögliche Verletzung dieser Pflicht unterfällt daher nicht dem Schutzbereich des § 266 StGB.

Ob die Finanzbehörden darüber hinaus – wie dies der Bundesfinanzhof in seiner zu § 7h Abs. 2 EStG ergangenen Entscheidung vom 22.10.2014 angedeutet hat – berechtigt oder sogar verpflichtet sein könnten, im Falle der Erfolglosigkeit einer Remonstration Klage gegen die Gemeindebehörden vor den Verwaltungsgerichten mit dem Ziel der Aufhebung einer Belegenheitsbescheinigung zu erheben, kann offen bleiben. Denn auch insoweit würde es jedenfalls an der für die Annahme einer Pflichtverletzung im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB erforderlichen Rechtsmacht der Finanzbehörden fehlen.

Bei dieser Sachlage scheidet die Annahme einer durch § 266 Abs. 1 StGB strafbewehrten Pflichtverletzung in sämtlichen Fällen bereits aus Rechtsgründen aus. Das Landgericht hat die Angeklagten daher im Ergebnis zu Recht freigesprochen.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 7. September 2017 – 2 StR 24/16


Viewing all articles
Browse latest Browse all 74

Latest Images

Trending Articles


Kühler ist kalt, aber Corsa D 1.4 kocht!


SAP HR Tabellen


BMW M5 F10 Getriebe Codieren / Anlernen


PRE-SAFE Funktionsumfang eingeschränkt B-Klasse


Einspritzdüsen ausbauen 2.2 direct


SRS-Fehler 9111


bc Loamer Laufradsatz im Test: Gutes muss nicht teuer sein


FF 14: Materialverwertung Levelguide


Neues Firmwareupdate COMAND online NTG 4.5 Generation 1 zu Generation 2


Motul 5w40 x-clean in N57 40d X5





Latest Images